Johann Georg Hamanns frühe Schaffensphase
−Mit Berücksichtigung der Begriffe
"Hören" und "Reden" als Momente des Dialogs−
 
 
 
  Jedes Werk Hamanns hat dialogischen Charakter und birgt darin die Absicht der "indirekten Mitteilung"1). Betrachten wir also Hamanns frühe Schaffensphase unter dem Gesichtspunkt des Dialogs. Dabei nehmen wir die Begriffe "Hören" und "Reden" zu Hilfe, die die beiden Seiten des Dialogs kennzeichnen. Bei Hamann ist das Wie seines Sagens sehr wichtig, noch wichtiger als das Was. Denn den Kern der Autorschaft Hamanns charakterisiert nicht der Inhalt des mitgeteilten Gedankens, sondern die Art und Weise, wie er wirklich "redet". Der junge Hamann redete noch monologisch. Aber durch die Erfahrung der Bekehrung, des einmalig- entscheidenden "Hörens", wurde seine Existenz dialogisch und seine Wirklichkeitsauffassung dialektisch. Diese Ur-Erfahrung prägt weiter auch Hamanns "Reden". Jedes Werk Hamanns trägt also sein Existenzverständnis und ruft den jeweiligen Gegenpart in einen einmaligen Dialog. Zuerst muß das Wesen dieses Ur-Hörens genau charakterisiert und in der Konstellation seines Zeitalters vorgestellt werden.
 
 
T
 
  In der Literaturgeschichtsforschung wird Hamann als Streiter wider die Aufklärung bezeichnet. Dabei wird ihm ein religiöser Irrationalismus unterstellt: es sei sein evangelischer Glaube, der ihn in seiner Haltung gegen die Aufklärung bestärkt habe. Aber solch ein oberflächliches Urteil ist nicht aufrechtzuerhalten, wenn man seinen geistigen Ort zu jener Zeit genau bestimmt. Die deutsche Aufklärung selbst war, im Gegensatz zur französischen, durchaus religiös orientiert.2) Es soll also zuerst festgestellt werden, was Hamann mit seinen Zeitgenossen gemein hatte und was nicht.
  Hamann schilderte z.B. in den "Briefen eines Vaters"3), die aus seiner Hofmeisterzeit stammen, sein Ideal der Bildung im Geiste Shaftesburys.4) In dieser Schrft, die ja unter dem Einfluß seines aufklärerischen Freundes Berens entstand, sieht Hamann keinen Widerspruch zwischen christlicher Erziehung und aufklärendem Geist. Er verbindet vielmehr die beiden deutschen Hauptströmungen seiner Zeit: Pietismus und neue Philosophie. Bei dieser Suche nach Vermittlung war Hamann aber nicht allein. Eine solche war vielmehr die allgemeine Geisteshaltung seiner Heimatstadt Königsberg, die seit der Jahrhundertwende, unter der Herrschaft des Pietismus, den Wolfianismus und den englischen Empirismus in sich aufgenommen hatte. Hamann war ein Kind dieser Stadt.5)
  Wenn man weiterhin die Originalität seiner Selbstfindung vor diesem Hintergrund klar herauszuheben sucht, muß man vor allem auf die Vorgeschichte seines "Londoner Erlebnisses" genau eingehen und dann dessen Bedeutung für sein späteres Schaffen begründen.
  In seiner Jugend, besonders in der Studienzeit, finden wir bei ihm wirklich christlich-aufklärerische Züge mit dem Ideal des harmonisierenden Ausgleichs. In der Selbstbiographie erzählt er, daß er sich schon früh für allerlei Wissenschaften interessiert habe.6) Bei seiner weitläufigen Lektüre konnte er aber den ordnenden Mittelpunkt nicht finden. Gleiches gilt für sein Studium an der Universität Königsberg, das er zuletzt ohne irgend einen Abschluß beendete. In dieser Zeit erfreute er sich andererseits einer fruchtbaren Freundschaft: Gemeinsam mit J. Ch. Berens und J. G. Lindner publizierte er eine moralische Wochenschrift namens "Daphne", wo er in seinen Beiträgen das wahre "Vergnügen" des Glauben hoch preist, das durch die "Zärtlichkeit der Empfindung" ermöglicht werde.7) Mit dieser Ansicht über die Glückseligkeit der Tugend offenbart sich Hamann als Autor der "Empfindsamkeit", die damals literarische Mode wurde. 1752 nahm er eine Hofmeisterstelle in Livland an, ein Jahr später in Kurland. In diesem Beruf erlebte er bald tiefe Enttäuschungen und fühlte sich sehr unglücklich. Neben seinem polyhistorischen Studium, das er seit seiner ersten Anstellung betrieb, schrieb er die "Beylage" zu Dangeuils Überstetzung und pries darin die Tugenden des erwachenden Handelsgeistes der Menschheit.8) Er hielt den Kaufmannsstand für seinen zukünftigen Beruf. Aber seine Betrübnis wurde immer größer, und er verfiel in tiefe Melancholie. Bei ihm konnte eine galante Frivolität sehr leicht in Schwermut umschlagen. Und diese war ihm nur die andere Seite derselben Geistesverfassung. Rascher Wandel der Stimmung war typisch für die junge Generation seiner Zeit.9)
  Wir wollen im folgenden die Bedeutung des Pietismus in Hamanns Biographie betrachten. Hamann wuchs in einer pietistischen Familie auf. Der Pietismus blieb auch während seiner akademischen Zeit von Einfluß, und seine Spuren äußerten sich noch, negativ, bei der Entlassung aus der Hofmeisterstelle, als ihm "die Religion ein Mantel" war, "mit dem er seine Blöße decken und sich rechtfertigen" konnte (N II 23). Obgleich dies nichts als Pharisäer- tum war, finden wir hierin doch den Ausdruck einer gewissen Frömmigkeit.
  Spener und seine Anhänger wollten den Glauben der Reforma- toren wieder herstellen. Für sie war aber das Motto der Reform nicht mehr Luthers "Rechtfertigung", sondern die "Wiedergeburt" des neuen Menschen.10) Sie strebten, jenseits des Prinzips der Alleinwirksamkeit Gottes, nach der inneren Erfahrung des Menschen. Darin lag vom Ansatz her eine Abweichung von der Reformation. Ebenso trachtete die Aufklärung nach der "inneren" Ratio, dem Vernunftvermögen. In dem Streben nach persönlicher Gotteserfahrung unter den Pietisten kam gerade das aufklärerische Selbstverständnis des modernen Ich zum Ausdruck. Auch wurde der Erlösungsweg als Bußmethodik beschrieben. Der Lebensgang des Gläubigen war ein allmählich aufwärts steigender Prozeß. Damit wurde die pietistische Frömmigkeit säkularisiert und in der Literatur spiegelt sich die empfindsame Lebenshaltung jener Zeit.11)
  Dieser entartete Pietismus ist es, den wir gerade bei Hamann betrachtet haben. Das zwiespältige Selbstgefühl seiner Jugend war eben ein Ausdruck dieser spätpietistischen Frömmigkeit, die zwischen Selbsterniedrigung und -erhöhung schwebte.12) Der rasche Stimmungswandel beim jungen Hamann ist als solch eine ängstliche Diskrepanz zu deuten. Beide Tendenzen waren ursprünglich in seinem Gefühl angelegt, das je nach der äußeren Situation ganz entgegengesetzte Ausdrucksformen fand. Er predigte in der "Daphne" die Harmonie der Tugenden. Aber sein Leben näherte sich einer Krise, die ihn innerlich zur Verzweiflung zu bringen drohte. Beim Tod seiner Mutter fühlte er in sich eine wirklich fromme Religiosität.13) Aber immer noch fehlte es ihm an der wahren Ordnung und Ruhe des Herzens. In ihm gab es ein Chaos, das er selbst "Labyrinth" (N II 39) nannte.
  Hamanns Londoner Aufenthalt begann mit einer Enttäuschung, die ihm das "Scheitern seines Auftrags" bereitete.14) Seine Melancholie erreichte hier einen absoluten Tiefpunkt. In seiner Verzweiflung suchte er freundschaftliche Hilfe, aber vergebens. Sein Kummer fand schließlich beim Bibellesen sein langgesuchtes Ende.15) Er hörte, als er das fünfte Kapitel des fünften Buch Moses las, eine Stimme in seinem Herzen, die das Blut des schuldlos Erschlagenen rächen wollte. Die Stimme bedeutete ihm nichts anderes als die Stimme des Gerichts. Er erkannte sich selbst als Kain, als Mörder Christi. Diese Erkenntnis brachte das Ende der Melancholie.
  Hamann nannte das Ereignis "die neue Geburt Christi in unserem Herzen" (N I 135). Diese Wendung, nebst weiteren Ausdrücken, bezeugt seine Nähe zum Pietismus. Aber Hamanns Bekehrung hatte mit pietistischen Vorstellungen nicht so viel gemein. Es war ein Ereignis, das beim Lesen der Bibel geschah. Er war bislang mit der Bibel exegetisch umgangen. Jetzt wurde ihm die Einheit der biblischen Geschichte immer deutlicher. Er las im Schicksal des jüdischen Volks im Alten Testament die Beschreibung seines eigenen Lebenswegs. Die ganze Schrift wurde ihm wirkliche Gegenwart, als er bei sich selbst die Schuld am Kainschen Brudermord und am Kreuztode Jesu fand. Die Heilsgeschichte selbst wurde in seiner Person präsent. Er hörte die Stimme des einst vergossenen Blutes in seinem Herzen und von da an begriff er sein Leben als biblischen Gehorsam. Hamanns Bekehrung ereignete sich also als ein Wortgeschehen und als Verwirklichung der biblischen Botschaft. Sie war nicht die Folge eines mystisch-subjektiven Verlangens nach dem Erlebnis, wie es damals unter den Pietisten üblich war. Bei Hamanns damaligem Bibelstudium ging es mehr um die objektive Einheit der Heilsgeschichte als um die subjektiv-psychologische Übereinstimmung der Affekte des Auslegers mit den biblischen Motiven. Es war die wirkliche Begegnung mit dem objektiven Du, mit dem transzendenten Gott, der in die Geschichte eingreift und richtend die Sünder rettet. Mit dieser Begegnung wurde sein Leben vollständig umgekehrt. Denn er war sich der Verkehrtheit seiner großen Sünde gewiß, die der Grund all seiner Angst und Unruhe gewesen war. Seine bisherige Religiosität, d.h. seine konventionell-pietistische Frömmigkeit, wurde von ihm als Feindschaft gegen Gott erkannt.16) Und er fand diese Sünde endlich mit Christus gekreuzigt. Das religiöse Selbstvertrauen wurde zerbrochen und Hamann sah sich unter der ausschließlichen Wirksamkeit Gottes leben.
  Die genauere Betrachtung des Vorgangs zeigt es noch deutlicher. Beim Bibellesen hörte Hamann "die Stimme des Blutes in seiner Tiefe seufzen" (N I 41). Das Ereignis deutet er selbst in den "Biblischen Betrachtungen": "Wir hören alsdenn in unserm Herzen das Blut des Versöhners schreyen" (N I 78). Hier gebraucht Hamann ein paradoxes Bild, daß "die Blut Rache um Gnade schreyt". Der Seufzer war also der Nachklang der paradoxen Gleichzeitigkeit von Gericht und Gnade Gottes. Was Hamann erfuhr, hatte mit dem pietistischen Methodismus nichts zu tun, der das Heilsgeschehen als zeitlich-sukzessiven Prozeß systematisieren wollte. Hamann verstand dieses Ereignis ganz als Werk Gottes. Er steht also in Verwandschaft mit Luther. Er vertritt wie dieser das Menschenbild: simul justus et peccator. Nach der Bekehrung verstand er sich immer noch als "ein Leviathan" (N II 43). Es war nicht mehr sein Teil, sich selbst zu reinigen und sittlich aufwärts zu steigen. Hamann traute auf die Alleinwirksamkeit Gottes und fand Ruhe darin.
  Nach dieser Selbsterkenntnis blieb kein Raum für eine Lebensart, die sich asketisch selbstpeinigend um Heil bemühte. Die lediglich nach innen gerichtete Frömmigkeit der Pietisten, die durch die Erniedrigung unaufhörlich das erhöhte, verklärte Selbst suchen, war gerade der Ursprung der ängstlichen Ambivalenz dieser halbsäkularisierten Zeit. Hamann aber hatte diesen Weg nun endgültig zurückgelassen. Das Bedürfnis seiner Studienzeit, sich vor Publikum darzustellen, war ganz verschwunden. Er, der vorher an der Überhebung seines Ichs sehr krankte, nahm die Pflicht des Zeugen einfach auf sich und wurde ein gehorsamer Verkünder. Es ist also nicht richtig, sein Selbstzeugnis "Gedanken über meinen Lebenslauf" wegen der äußerlichen Ähnlichkeit als "pietistisch" zu bezeichnen.17) Diese Schrift sollte mit den unmittelbar zuvor geschriebenen "Biblischen Betrachtungen", in denen Hamann im Wir-Stil redet, eng zusammengesehen werden. In seinem ganzen Schrifttum aus dieser Zeit ist die göttliche Botschaft schwerwiegender als das Erlebnis selbst. Das "Hören" des Wortes und die Berufung zum "Reden" waren die Motive dieser wie auch seiner späteren Schriften, in denen er sich mit den Hauptströmungen der Zeit philologisch-theologisch konfrontierte. Denn ihren Vertretern, sowohl den Spätpietisten als auch den Aufklärern, war ihr Vertrauen auf die Autonomie der menschlichen Immanenz völlig gemeinsam. Erst durch die Bekehrung wurde Hamann zu seiner Sendung berufen, die ihn eine klare Vorstellung vom Wesen seiner Zeit gewinnen ließ.
 
 
II
 
  In Hamanns Londoner Tagebuch, in seinen "Biblischen Betrachtungen", finden wir einen Begriff, der den Mittelpunkt all seiner Überlegungen zeigt, nämlich die "Herunterlassung Gottes".
  Das Wort "Herunterlassung" hat einen theologischen Begriff zum Hintergrund und ist als solches die Übersetzung des griechischen "sugkatabasis". Jenes war ein Begriff aus der Rethorik und bedeutete die "Anpassung des Redners an das Publikum", das ein schwächeres Einsichtsvermögen besitzt. "Herunterlassung Gottes" wurde dann theologisch im Sinne eines sekundären Mittels gedeutet, das der sich offenbarende Gott ob der Mangelhaftigkeit menschlicher Denkkraft zu Hilfe nimmt. Dies war im 18. Jahrhundert eine geläufige Vorstellung.18)
  Hamanns "Herunterlassung Gottes" brachte aber eine ganz andere Prägung hinzu. Er setzte nämlich "Herunterlassung" zum Schlüsselbegriff für das gesamte von Gott ausgehende Geschehen ein. Wirklichkeit hieß für ihn die trinitarische Herunterlassung Gottes.19) Gott ist der "Verfasser" der Welt. Er "schafft, wenn er spricht" (N I 63). Mit dem "kräftigen" Sprechen hat er das Buch der Natur geschrieben. Die Schöpfung war die erste Stufe seiner Herunterlassung. Nun ist sie selbst eine Rede, in der Gott sich dem Menschen offenbart. Dabei betont Hamann, daß der ganze Vorgang der Weltentstehung mit dem Christusgeschehen eng zusammenhängt. "Um den Menschen zu machen, ließ er sich herunter, suchte einen Erdenkloß, bildete denselben und blies ihm den Othem des Lebens ein. Dies ist die Schöpfung; dies ist die neue Schöpfung des Menschen; dies ist die Erlösung" (N I 67). Hamann war damit weiter zur christzentrischen Wirklichkeit gelangt. Christus ist die Mitte, die "vortrefflichste" Herunterlassung Gottes.
  Nach der Erschaffung des Leibes hat Gott dem Menschen mit seinem Hauch das Leben verliehen. Hamann sagt, daß der Atem des Menschen zum anderen ein Sinnbild sei, in dem uns die Abhängigkeit der menschlichen Sprache von Gott deutlich wird. Der Mensch spricht, weil Gott ihn an seinem schöpferichen Sprechen hat teilhaben lassen. Nach Gottes Willen soll dieses Sprechen das Zwiegespräch des Menschen mit Gott sein. Und Glaube soll eigentlich das Aussprechen des Wortes Gottes vermitteln, das Gott dem Menschen mit dem Odem des Lebens ins Herz gelegt hat. Hamann sieht, daß auch die menschliche Erkenntnis von Gott ausgeht, weil sie auf dem Sprachvermögen beruht: "Adam macht hier eine Probe von der Erkenntnis, die ihm Gott gegeben hat..." Als Gott (1.Mose 2,19) die Tiere vor ihn bringt, "überläßt er Adam die Thiere zu nennen" (N I 17). Der Mensch aber scheitert mit seiner Sprache. Er kann weder mit Gott das wahre Gespräch führen noch die Dinge richtig erkennen. Er hat als der Sünde verfallenes Wesen nichts als Stammeln im Munde. Hamann sagt, daß die menschliche Sprache und Erkenntnis in dieser Unvollkommenheit wiederum durch die Herunterlassung Gottes überwunden wird. "Er (der Heilige Geist) bildet ihn (Christus) in unseren Herzen, macht, daß Jesus eine Gestalt gewinne, bereitet selbiges zu, stimmt die Seufzer, die wir nicht aussprechen noch auszusprechen im stande sind" (N I 296). Der Glaube an den wahren Vermittler allein ermöglicht dem Menschen das Wunder der wahren Sprache. Hamann faßt diese Wandlung als keinen ruhigen Prozeß, sondern als plötzlichen Vorgang auf. Der Seufzer drückt zwar die Ohnmacht aus. Mit ihm fängt aber schon der Dialog zwischen Gott und dem Menschen an, und damit auch die wahre Erkenntnis des Glaubens. Denn es ist Gott selbst, der sich heruntergelassen hat und nun dem Menschen die kräftige Stimme des Glaubens gibt. Mit Erstaunen hört der Mensch diese Stimme aus seiner Tiefe herausquillen.20)
  Die Herunterlassung Gottes macht bei Hamann also kein sekundäres, sondern das primäre Prinzip im Handeln Gottes aus. Gottes Offenbarung ist in jedem Fall Herunterlassung. Und die den Menschen umgebende Wirklichkeit ist immer sprachlich und hat im wesentlichen dialogischen Charakter.
  Es ist aber noch auf eines ausdrücklich hinzuweisen: Offenbarung und die menschliche Sprache stehen keineswegs in einem kommensurablen Verhältnis, sondern die Herunterlassung Gottes zur menschlichen Sprache äußert sich im Widerspruch. Diese Auffassung hat Hamann später bei Luther wiedergefunden. Luthers Paradox war auch für Hamann der Kern des Glaubens21), die 21. These der Heidelberger Disputation, mit Luthers Trennung von theologia crucis und theologia gloriae. Die erstere mußte Gott in seinem Gegensatz ergreifen. "Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind" (1. Kor. 1,35). Das göttliche Sprechen enthält in sich Anstöße dazu. Hier finden wir, was Hamann seinerseits unter dem Begriff "Herunterlassung Gottes" verstanden hat. "Herunterlassung Gottes" barg bei Hamann, wie die Luthersche theologia crucis, gerade den paradox-polemischen Charakter in sich.
  Das göttliche Sprechen ist somit nach Hamann zweidimensional. Als Zeuge ahmt er treu diesen Charakter der göttlichen Herunterlassung nach. Er läßt sich nämlich zur Situation des Gegenparts herab und paßt sich ihr in seinen eigenen Schriften an. Das gilt ihm aber keineswegs als unwichtige Spielerei, sondern gründet sich vielmehr in seiner Auffassung der göttlichen Offenbarung als Dialog, wonach die Wahrheit für die Menschen immer kommunikativ ist. Das Verstehen des Menschen kann, nach Hamann, intersubjektiv bei der Diskussion entstehen. Jedes Werk Hamanns hat mithin dialogischen Charakter und enthält die Einladung zum Dialog, die sich u.U. zur kühnen Herausforderung wandelt. Diese Herausforderung kann provokativ wirken für denjenigen, der mit ihr gleichgültig oder aus lauter Vorurteilen umgeht. Sie schreckt den anmaßenden Versuch im voraus ab. Für den richtigen Leser spricht Hamann aber leidenschaftlich durch seine mimische Sprechweise und will ihn zur Selbstfindung der Wahrheit bringen. In seinem Schaffen verbirgt sich somit die Absicht der indirekten Mitteilung oder der sokratischen Hebammenkunst.
 
 
 
III
 
  Hamanns Erstlingsschrift "Sokratische Denkwürdigkeiten" entstand zunächst als Apologie seines neuen Lebenswandels. Sein Freund Berens, ein Rigaer Kaufmann und überzeugter Anhänger der Aufklärung, bedauerte Hamanns "Bekehrung" zum christlichen Glauben. Berens bat Kant um Hilfe und versuchte mit diesem zusammen, Hamann für sein Lager wiederzugewinnen. Angesichts der aufklärerischen Gegner will Hamann seinen Glauben nicht legitimieren und greift vielmehr zu den Lieblingswaffen des Gegners: Sokrates war damals der Held für die aufklärerisch gesinnten "starken Geister". Mit dem Verständnis der Wahrheit als objektives System der Lehrsätze hielten die damaligen Aufklärer die sokratische Unwissenheit für ein theoretisches Verfahren der methodischen Skepsis und nicht für die Lebensfrage einer angefochtenen Existenz. Hamann setzt ihnen ein anderes Sokratesbild wie einen Spiegel vor und führt sie dadurch vor die freie Entscheidung, ob sie die wirkliche Gestalt ihres Selbst erkennen wollen oder nicht. Mit der Unwissenheit des Sokrates deutet Hamann ein prägnantes Nichts an, wodurch die anmaßende menschliche Vernunft zwar zu verderben bedroht ist, wovon aber das Leben erst seinen vollen Sinn erhält.22) Mit diesem existentiellen Sokratesbild samt dem Verständnis der Unwissenheit als "Empfindung" ist diese Schrift keine bloße Analogie sondern eine "mimischen Arbeit" (N II 61), die von einer "indirekten Mitteilung" durchdrungen ist. Das gilt aber auch für seine anderen Schriften dieser Zeit.23)
  Im folgenden soll nun Hamanns Reden in den Schriften seiner ersten Schaffensphase etwas eingehender verfolgt werden. Das Wesen des Hamannschen Redens ist die Mitteilung beim Dialog. Man kann drei Momente des Dialogs nennen, nämlich 1) Publikum, 2) Gegenpart (Hörer) und 3) Redner. Hamann hat selbst darüber refelektiert. Das läßt sich daran erkennen, daß er der Schrift "Sokratische Denkwürdigkeiten" zwei Vorreden zugfügt hat: zuerst "An das Publicum" und dann "An die Zween" d.h. an Kant und Berens.24)
  1) Bei dieser Erstlingsschrift, die "für die lange Weile des Publicums" "von einem Liebhaber der langen Weile" zusammengestellt wurde, thematisierte Hamann zwar dieses Publikum als Prinzip, sah aber dort noch keine konkrete Person: Das sei "Niemand", doch "der Kundbare" (N II 57). Dieses ambivalente Wesen nahm später Gestalt an. "Sokratische Denkwürdigkeiten" wurde nämlich von Mendelssohn günstig rezensiert. Er fordert sogar Hamann zur Mitarbeit an den "Briefen, die neueste Literatur betreffend" auf.25) Damit trat Hamann in eine neue Situation des Dialogs ein. Mendelssohns günstiges Urteil war für Hamann nichts als ein kahles Lob. Hamann nahm also seinen Vorschlag nicht an.26) Aber Überlegungen bei dieser Gelegenheit prägten Hamanns Haltung als Autor aufs neue. Hamann reflektierte über das Wesen der Dichtung, über die Autorschaft, über das Reden, über den Stil, usw. Daraus resultierten seine weiteren Schriften. Darunter war "Aesthetica in nuce" die wichtigste.
  Die Berliner Aufklärer der "Literaturbriefe" ließen sich von Hamanns ironisch-bildhaften Schreibart bezaubern und wollten ihn "in Dienst" (ZH II 134) nehmen. Hamann nahm zwar an dem literarischen Gespräch sehr aktiv teil. Aber er durchschaute schon, daß das Motiv der "Literaturbriefe" in der Behandlung biblischer Ästhetik nicht zu rechtfertigen war. Das Publikum war ein Prüfstein. Schon in den "Denkwürdigkeiten" zeigte Hamann seine Einsicht: "Du führst einen Namen, und brauchst keinen Beweis Deines Daseyns, Du findest Glauben und thust keine Zeichen denselben zu verdienen, Du erhältst Ehre, und hast weder Begriff noch Gefühl davon. [...] Dir werden täglich Opfer gebracht, die andere auf Deine Rechnung verzehren, um aus Deinen starken Mahlzeiten Dein Leben wahrscheinlich zu machen" (N II 59). Das Publikum wird hier also für einen Gätzen gehalten, der von den Autoren angebetet wird. Nur um des Publikums willen schreiben sie, und zwar sogar über die Bibel. Es war Haman klar, daß die biblische Botschaft auch ihre ästhetische Ordnung hat. Aber die Ästhetik selbst war ihm nicht der Zweck der Beschreibung der Bibel. Hamann urteilte, daß die "Literaturbriefe" in bezug auf diesen Punkt Verwirrung zeigten oder, unangemessen, nicht den Geist, sondern das Wort zu ihrem Herrn machten. Hamann wollte also zuerst diese Unordnung in Ordnung bringen, und zwar mit dem Wort der "Tempelreinigung": "HORATIUS. Odi profanum vulgus & arceo./ Fauete linguis! carmina non prius/ Audita, Musarum sacerdos,/ Virginibus puerisque canto" (N II 197). Hiermit suchte Hamann zu zeigen, daß das Publikum nicht der richtige Gegenpart des Dialogs ist. Seine Schriften sind "nicht für den Geschmack gemacht" (N II 60).
  2) Die Schrift "Sokratische Denkwürdigkeiten" war eigentlich für "die Zween" geschrieben worden, um ihnen "indirekt" mitzuteilen, wie seicht die aufklärerische Wahrheitsauffassung im Vergleich mit der von Sokrates war. Der Gegenpart, der dann in der "Aesthetica in nuce" von Hamann wirklich zum Dialog aufgefordert wurde, war nämlich J. D. Michaelis, der damals als einflußreicher Theologe und Orientalist hochgeachtet wurde. Der philologische Wortwechsel, der nun anfangen sollte, betraf also vielmehr ein biblisch-exegetisches Problem. Heute kennen wir Michaelis als einen Vertreter der Neologie. "Die Neologie ist der Beginn jener Selbstentfremdung der Theologie den kirchlichen Überlieferungen gegenüber, welche dem Verhältnis zum Dogma etwas Subjektiv- Willkürliches [...] verleiht."27) Michaelis "hat, vor allem im Alten Testament, eine von Dogmatik freie, in Sprach-, Kultur- und Sittengeschichte begründete, auch ein gut Teil subjektiven gesunden Verstandes nicht verschmähende Bibelerklärung [...] geübt"28). Hamann schätzte Michaelis als Theologen hoch. Aber seinem bloßen Vertrauen in die subjektive "gesunde Vernunft" setzte Hamann beißende Ironien entgegen. Das läßt sich ganz am Anfang auf dem Titelblatt erkennen.
  Hamann maß den Titeln immer große Wichtigkeit bei. Denn für ihn war der Titel mehr als ein Aushängeschild. Er enthält schon den ganzen Inhalt der Schrift. So war es auch der Fall bei dem Titelblatt dieses Buchs: "AESTHETICA. IN. NVCE./ Eine Rhapsodie in Kabbalistischer Prose/ Buch der Richt. V,30.[...]" (N II 195). Das war die literarische Maske, die den Gegner Michaelis zur philologischen Debatte herausfordern sollte. Die beiden Begriffe "Rhapsodie" und "Kabala" mußten für Michaelis sicher anstößig sein, weil sie nach dessen Auffassung als exegetische Methoden dem gesunden Verstand nicht angemessen waren. Buchtitel waren also für Hamann das erste Kampfmittel, mit dem er den Gegenpart provozierte. In dem weiteren Text können wir noch mehrere Winke und Andeutungen finden, die zwar diese Schrift dunkel erscheinen lassen, aber für Michaelis immer klarer machen, worum es sich eigentlich bei dieser mimischen Rede handelt. Die Art und Weise, wie sich Hamann dem Gegenpart des Dialogs entgegenstellte, stimmt also in vielem mit der von den Propheten des Alten Testament überein, die das göttliche Wort mit verschiedenen zwar konkreten, doch mimisch-verhüllenden Gleichnissen verkündigten.
  3) Was ist das Wesen des Redens und des Redners, der den anderen Teil des Dialogs ausmacht? Und in welcher Weise wird die Mitteilung möglich? Auch darüber hat Hamann einmal in den "Sokratischen Denkwürdigkeiten" gründlich reflektiert. "Die Unwissenheit des Sokrates war Empfindung" (N II 73). So gehört "eine Sympathie der Unwissenheit dazu von der sokratischen einen Begriff zu haben" (N II 70). Für Hamann ist die Wahrheit nicht das absolut und einzig Bestimmte. Sie erhält je nach der Situation der Mitteilung ihren Leib und ihr Kleid. Die Mitteilung wird dabei zuallererst von der Empfindung des Redners bestimmt. Und nur derjenige, der dieselbe Empfindung (Sympathie) hat, kann diese Mitteilung empfangen. Es ist somit die Empfindung, die die Mitteilung ermöglicht und verwirklicht. Von dieser Grundhaltung zum Dialog, worauf sich eigentlich Hamanns Geschichts- und Kulturhermeneutik gründet, wird auch die Schrift "Aesthetica in nuce" geprägt.
  In der "Aesthetica in nuce" hat Hamann Probleme der biblischen Hermeneutik in einem sehr engen Zusammenhang mit der Dichtung behandelt. Denn die beiden Existenz- und Wesensbestimmungen, Christ zu sein und Poet zu sein, sind für Hamann eigentlich nicht verschieden. Sind sie doch in der Empfindung gemeinsam. Hamann spricht einmal von der besten Art, über Gott nachzudenken und nennt als besten Weg den "als Christ oder Poet" (ZH I 367). Als Grund dafür gibt er an: "Wenn der natürl. Mensch 5 Sinnen hat; so ist der Christ ein Instrument von 10 Seiten. Und ohne Leiden- schaften einem klingenden Ertz ähnlicher als einem neuen Menschen" (ZH I 339). "Dies sind Empfindungen, die in kein ander Feld gehören, als in die Poesie, und in keiner andern als der Göttersprache allein ausgedruckt werden können" (ZH I 369). Diese Leidenschaft oder die Empfindung hat aber keine subjektiv- willkürliche, sondern göttliche Herkunft. Der innere Zwang, der einen Christ zum Reden veranlaßt, ist, genauso wie bei Propheten, das kräftige Sprechen Gottes. So ist "die Poeterey", wie Opitz gesagt hat, "nichts als eine verborgene Theologie und Unterricht von göttl. Sachen" (ZH I 438).
  Der Poet als Christ dient aber nicht der Ausdehnung des künstlerischen Ichs. In dieser Hinsicht unterschied sich Hamann von dem Epiker Klopstock, den er sonst in dem eben erwähnten Sinne hochschätzte.29) Hamann verstand, wer die wahre Muse der christlichen Dichtung sein muß, die nichts als eine Art Verkündigung ist. Mit diesem Verständnis war seine Einsicht in das Wesen des Redners sehr eng verbunden. Das Titelblatt der "Kreuzzüge des Philologen" zeigt das Profil des Redners dieser Schrift.30) Dort ist nämlich das Gesicht Pans abgebildet, das gerade das Gegenteil der Erhabenheit des orakelnden Dichters ist. Mit diesem Gesicht wollte Hamann die Niedrigkeit des Verkünders deutlich ausdrücken, dem die göttliche Botschaft anvertraut wird.
  In bezug auf die Niedrigkeit Pans können wir zweierei Einsichten hervorheben. Erstens ist Pans Häßlichkeit dem ästhetisch-sinnlich Gesinnten ein Stein des Anstoßes. Die Schönheit war damals für die ästhtisch gesinnten Aufklärer eng mit der Tugend verbunden. Aber Hamann sah die Schönheit gerade in der Häßlichkeit, weil die göttliche Offenbarung sich im voraus auf dieselbe Weise in den entgegengesetzten Gegenständen verbergen ließ. Es ist für Hamann "die Herunterlassung Gottes", die auch auf dem Gebiet der Äshtetik den Kernsatz liefert. Zweitens kann das Tragische in dem Wesen Pans, das z.B. in seinem Tod als Ende des erotischen Erstrebens deutlich gezeigt wird, mit der Sündhaftigkeit des Menschen im christlichen Sinne verglichen werden. Hamann stellt die Existenz des Redners genau im Sinne von Luthers "simul justus et peccator" dar. Als solch eine paradoxe Persönlichkeit zeigte sich Hamann in der Gestalt des Pan. Denn "nichts als die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis bahnt uns den Weg zur Vergötterung" (N II 164). Hamann wußte wohl, daß auch die Erkenntnis der eigenen Nichtigkeit unentbehrlich einen Kern der christlichen Mitteilung bilden muß.
 
 
IV
 
  Uns bleibt noch die Aufgabe, das "Wie" des Hamannschen Redens konkret darzustellen. Wenn wir die "Aesthetica in nuce" mit Aufmerksamkeit lesen und die "Mimik" dieser Schrift genau betrachten, dann gelangen wir mehr und mehr zu der Überzeugung, daß darin für Hamann der Stil als Mittel des Redens eine zentrale Stelle einnimmt. Hegel hat darüber einmal gesagt: "Hamanns Schriften haben nicht sowohl einen eigenthümlichen Styl, als daß sie durch und durch Styl sind."31) Wir versuchen nun die Bedeutung des Stils in Hamanns Werk klar zu erfassen. Zur Charakteristik seiner Schreibart können wir zuerst zwei Einsichten hervorheben, nämlich Selbsterkenntnis und die Wertschätzung der Tradition.
  Hamann war sich selbst der Eigenartigkeit seiner Schreibart bewußt. Er schrieb: "Sie (J. G. Lindner) wißen, daß meine Denkungsart nicht zusammenhängend, und so wenig als meine Schreibart [...] nach der Methode des Pfluges geht" (ZH I 411). "Jedes Thier hat im denken und schreiben seinen Gang. Der eine geht in Sätzen und Bögen wie eine Heuschrecke; der andere in einer zusammenhängenden Verbindung wie eine Blindschleiche im Fahrgleise" (ZH I 379). Hamann sagt, daß er so schreibe, "wie ein flüchtiges Reh" springt. Solch ein Springen, das aus der "Empfindung" (N II 73) seiner Existenz rührt, macht zwar seine Schriften dunkel und schwerverständlich. Die Dunkelheit ist aber nicht Ausdruck einer Willkürlichkeit. "Auch in der Dunkelheit giebts göttlich schöne Pflichten" (ZH II 129). Damit meint Hamann, daß sein Existenzverständnis auch die Form der Mitteilung bestimmen solle, weil diese erst durch die Sympathie, d.h. durch die Analogie der Existenz ermöglicht wird.
  Es gibt aber ein anderes Moment, das die Grundlage für seine Schreibweise bildet. So lesen wir im Anfang von "Aesthetica":
 
 
(A) Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts;
wie der Gartenbau, älter als der Acker:
Malerey, - als Schrift:
Gesang, - Deklamation:
Gleichnisse, - als Schlüsse:
Tausch, - als Handel. (N II 197)
 
 
Hierin können wir einen Anklang von Lakonismus finden. In einem Brief äußert Hamann einmal selbst, daß er "elliptisch wie ein Griech, und allegorisch wie ein Morgenländer" schreibe (ZH I 396). Dies heißt aber nichts anderes, als daß sich Hamann in die rhetorische Tradition einreihen will. So ist es auch im folgenden:
 
 
(B) Ein tieferer Schlaf war die Ruhe unserer Urahnen;
und ihre Bewegung, ein taumelnder Tanz.
 
(C) Sieben Tage im Stillschweigen des Nachsinns oder Erstaunens saßen sie;
- - und thaten ihren Mund auf - zu geflügelten Sprüchen.
(D) Sinne und Leidenschaften reden und verstehen nichts als Bilder.
In Bildern besteht der ganze Schatz menschlicher
Erkenntniß und Glückseeligkeit.  (N II 197)
 
 
Wir versuchen diese Stelle anschaulich mit einem Schema darzustellen.
 
 
(A) lakonischer Satz
Parataxis I
(B) Parallelismus I (Chiasmus)
Parataxis II
(C) Parallelismus II (Chiasmus)
Parataxis III
(D) Parallelismus III (Chiasmus)
 
 
Parallelismus und die parataktische Strukutur der Sätze hat bereits E. Auerbach als wesentlich für die Schreibweise der Bibel bezeichnet.32) Hamann ahmt hierbei die biblische Schreibweise nach. Als zweites Moment des Hamannschen Stils ist also die Nachahmung der biblischen Propheten zu nennen.
  In den oben zitierten Stellen von "Aesthetica" können wir nun ein Beispiel für die Vermischung beider Stile finden. Eine feierliche Rhapsodie führt hier einen sehr gehobenen Stil ein. Dabei gehört aber die parataktische Fügung der Sätze selbst in der rhetorischen Tradition einer niederen Diktion an. Das Genus sublime geht also bei Hamann mit dem genus humile eine Verbindung ein.33)
  In mehreren Fällen bringt Hamann in eine prophetisch-erhabene Rede selbst niedrige, ja gemeine Worte ein. Hierin folgt er aber nur biblischem Vorbild, nämlich dem der Propheten.34)
  Die Bedeutung der Hamannschen Stilmischung soll sodann nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich bestimmt werden. Hamann akzentuiert die komisch-burlesken Züge des "Rhapsoden" in der "Aesthetica" . So sehen wir das Bild des gehörnten Pan bereits auf dem Titelblatt der "Kreuzzüge des Philologen". Wir hören zotenhafte Reden in der Rhapsodie.35) Die Gemeinheit des Redners ist ganz offenbar übertrieben. Aber gerade in solch scheinbarem Widerspruch der Formen läßt sich ein Hinweis auf den innerlichen, tiefen Sinn der Stilmischung vermuten. Wir können drei Einsichten zur Deutung solchen Verfahrens hervorheben. 1) Hamanns Auffassung vom Menschen als einem irdenen Gefäß (2.Kor.4,7).36) 2) Hamanns Sendungsbewußtsein, das ihn in eine innere Seelen- verwandtschaft mit den biblischen Propheten stellt. 3) Ironie und Humor als Strategie der Mitteilung.
  1) Hamanns Stil spiegelt die Erkenntnis seiner selbst als Leviathan (Hiob 41) wieder. Als solch ein sündhaftes Ungeheuer, das sich selbst nicht erlösen kann, steht er vor Gott. In dieser Selbsterkenntnis hat er einst die eigene Bekehrung erlebt und diese Polarität übertägt er auf sein ganzes Leben. 2) Solch eine Grunderkenntnis bestimmt die Art und Weise des Redens. Hamann dient nicht mehr der Ausbreitung seines Ichs, sondern ausschließlich der Erweiterung der biblischen Botschaft. Dabei bedeutet die dichterische Erhabenheit nichts als Hindernis. Denn er weiß, daß die Ausführung der Aufgabe eigentlich nicht in seiner Person, sondern in der Hand Gottes liegt. Hamann bringt zwar die eigenen Worte kraftvoll hervor. Aber ihn trägt das Bewußtsein der Propheten, daß seine Sendung einzig in der Alleinwirksamkeit Gottes begründet sei, und er betont die Niedrigkeit des Redners, dem die göttlich-erhabenen Worte anvertraut werden.37) 3) In diesem Sinne dürfen wir auch die Ironie seiner Rede für biblische Strategie halten. Ironie ist das "Schwert", mit dem Gott selber seinen Gegner tötet.38) Aber wer dieses Schwert nimmt, der muß wissen, wer er selbst wirklich ist. Und Hamanns Werk ist belebt von burlesken Figuren, die humorvolle Selbstironie zeigen.
  Hamanns Stilmischung hat viel mit prophetischer Wortgewalt gemeinsam. Stilmischung heißt für ihn die "philologische" Nachfolge der "Herunterlassung Gottes".
  Hamanns prophetischen Stil können wir andernteils in seiner Gleichnishaftigkeit beobachten. "Die Schrift kann mit uns Menschen nicht anders reden, als in Gleichnissen, weil alle unsere Erkenntnis sinnlich, figürlich" ist (N I 157). So ist die bildhafte Rede auch eine Art Nachahmung der Herunterlassung (Akkomodation) Gottes. Hamann schreibt allegorisch mit einer Fülle verschiedener Bilder. Dabei verwendet er aber diese Bilder frei von theologischen Traditionen und verbindet biblische Bilder sogar mit Motiven der heidnischen Mythologien. Entsetzen unter der Leserschaft war die Folge.
 
 
Ihr lacht,
(A) wenn Adam, der Sünder , am Apfel,
(B) und Anakreon, der Weise, am Traubenkern erstickt! -
Lacht ihr nicht,
(C) wenn Gänse das Capitol entsetzen -
(D) und Raben den Patrioten ernähren,
   in dessen Geist Israels Artillerie und Reuterey bestand? -
Ihr wünscht euch heimlich zu eurer Blindheit Glück,
(E) wenn GOTT am Kreuz unter die Missethäter gerechnet wird -
(F) und wenn ein Gräuel zu Genf oder Rom,
in der Oper oder Moschee,
apotheosirt und koloqvintisirt wird. - -    (N II 214)
 
 
Hierin gibt es doch eine Ordnung. Hamann schreibt in diese Bilder sein typologisches Geschichtsverständnis hinein. Darüber hinaus verbindet jeder Satz zwei entgegengestetzte Bilder in gegen- seitiger Parallelität:
 
 
            Parallelismus
     ┌─────────────────┐
   biblische Bilder   (Allegorie)  heidnische Bilder
      Heilsgeschichte
 
   (A) Adams Fall    (Frucht)   (B) Anakreons Episode
 
   (D) des Propheten   (Vogel)    (C) Episode aus der
     Elias Elend              römischenGeschichte
 
   (E) Christi Leiden   (Skandal)   (F) Situation der Gegenwart
     └─────────────────┘
        typologische Bedeutung der Geschichte
              ⇔
        aufklärerische Geschichtsauffassung
 
 
Mit dem Entsetzen ist er ins Herz des Lesers eingedrungen. Nun kann er sich mitteilen und er führt dem Leser die theologisch-eschatologische Struktur der Geschichte deutlich vor Augen. Hamann versteht und deutet Geschichte nämlich typologisch: Die Geschichte soll als Rede Gottes sinnliches Vor-bild sein, als Typus "gehört" werden. Dabei heißt "Hören" Gleichzeitig-zu-werden mit einem Ereignis der Vergangenheit. Aber die Gleichzeitigkeit mit dem Vergangenen weist auch immer in die Zukunft. Denn die typologische Auslegung deutet Geschichte zwischen dem Anfang und dem Ende (Telos), wobei die Begebenheiten als "Typen" oder "Antitypen" der christlichen Heilsgeschichte verstanden werden.39) Die Antitypen des Neuen Testaments bedeuten die Erfüllung des in den alttestamentlichen Typen "heimlich" Verkündigten. Wer die Geschichte typologisch betrachtet, der sieht den Erwartungscharakter der Dinge in der Welt. Die wahre Erfüllung der Erwartung der Kreaturen ist ihm in den letzten Dingen (Eschaton) verborgen. So ist die Geschichtsauffassung Hamanns eschatologisch und christzentrisch. Es ist Christus, der als Erfüllung aller Typen der endgültige Sinn der Geschichte ist. Und die Mitteilung dieses christologischen Geschichtsver- ständnisses ist für Hamann der höchste Zweck seines Schaffens, damit seines "mimischen" Stils geworden.
  Hamann verwendet seine Bilder rhapsodisch und tiefgründig. Er schafft aus verschiedenen Anführungen, die kulturell gar nichts gemein haben, ein zusammengefügtes Bild. Da entsteht das "sibyllinische" Aussehen (Goethe) seiner Rede.40) Es ist dies der dem Mittelalter bekannte "Cento-Stil".41) Mit seiner Übernahme verfolgt Hamann einen hermeneutischen Zweck. Er verkündet die göttliche Rede, wobei er die Herunterlassung Gottes "philologisch" nachahmt und ausfüllt.
  Hamanns Wortbilder sind zwar ziemlich verwickelt, weil er den biblischen Motiven allegorisch und parallel die säkularen zuordnet. Dabei spielt aber die Allegorie nur eine untergeordnete Rolle. Die typologische Auslegung muß also über die allegorische hinausführen, die eine im Text verborgene geistige Dimension sucht. Das Berichtete wird als wirklich genommen und in den Rahmen des göttlichen Plan eingewoben. Allegorie hat also bei Hamann nur unterstützende Funktion, auf daß der typologisch-heilsgeschicht- liche Charakter der Geschichte noch klarer zutage komme.
 
 
V
 
  Mit den mimischen Schriften "Sokratischen Denkwürdigkeiten" und "Kreuzzüge des Philologen" trat Hamann in die damaligen literarischen Welt. Und dadurch wurde er bald als kühnster Kritiker der aufklärerischen Zeit anerkannt. Es bleibt noch zu erörtern, wie sich die Kritik bei Hamann zum Dialog bzw. zur Mitteilung verhält.
  Kurz nach der Veröffentlichung der "Kreuzzüge des Philologen" verfaßte Hamann "Schriftsteller und Kunstrichter" und "Leser und Kunstrichter". Zur Niederschrift dieser inhaltlich eng verbundenen Schriften gab Hamanns damalige Lektüre Anlaß. Für die erstere waren es "Anmerkungen zum Gebrauche deutscher Kunstrichter" von J. G. Gellius. Der Übersetzer der "Nouvelle Héloïse" wurde zwar von Hamann ganz niedrig eingeschätzt. Schriften wie die Gellius'schen "Anmerkungen" bedeuteten aber für ihn symptomatisch die "Anarchie in der gelehrten Welt" (ZH II 147). Gellius wollte mit seinem neuen Buch einen Gegenangriff gegen die "Literaturbriefe" führen. Mit ihm wendete sich Hamann in den "Kunstrichtern" vor allem gegen M. Mendelssohn, seinen eigent- lichen Gegner. Hamann setzte somit die Auseinandersetzung in der "Aesthetica in nuce" nun in einer noch umfassenderen Konstellation weiter fort.
  In Hamanns erster "Kunstrichter"-Schrift geht es ihm um die Rolle und Funktion des Kunstrichters. Die Instanz wird zwar nicht sofort abgelehnt, aber gründlich überprüft. Hamann schreibt dem Kunstrichter die Verantwortung des Staatsmannes zu, der sowohl dem Fürst (dem Autor) als auch dem Volk (dem Leser) dienen soll.42) Leser und Autor sind der Herr, und nicht der Kunstrichter. Dieser maßt es sich aber an, hoch über beiden zu stehen. Der Hochmut der Kritiker ist es, der also nach Hamann das schädlichste Verbrechen in die literarische Welt hineinträgt. Dabei geht der Kunstrichter mit leeren Begriffen und Regeln um und spielt das betrügerische Spiel, als wäre er selbst der Verkünder der Gesetze. Hamann weist ironisch auf den "ungetreuen Haushalter" (N II 333) hin, der zwar ungerecht aber klug handelt, und nur deswegen von seinem Herrn gelobt wird (Luk. 16,8). Für Hamann ist es der Leser, der diese Verhältnisse wenden kann. Er sei "der Herd in der Axe [der Brennpunkt]" und "Brennlinie" (N II 335). Zuerst sind sowohl der Autor als auch der Kritiker Leser. Der Leser ist also der Anfang und Grund für die Hoffnung. Hamann weiß aber, daß der Wert des Lesers an sich zweideutig ist, weil er als Käufer und Pedant auch die "Quelle des Übels" (N II 334) ist. Ihn zu erziehen sei eigentlich des Kritikers Amt. Aber dieser taugt nicht, weil er ja selbst nicht lesen kann und nur sich selbst zu verherrlichen sucht. Der Leser bleibt in der "Blindheit und Trügheit" (N II 335) allein gelassen, und die Verdorbenheit der gelehrten Welt hat ihren Gipfel erreicht.
  In "Leser und Kunstrichter" behandelt Hamann allgemein das Problem der Schönheit mit ihren Merkmalen und die Möglichkeit einer Theorie der literarischen Kritik. In diesem Fall veranlaßte Chr. L. Hagedorns "Betrachtungen über die Mahlerey" Hamann zu seiner Schrift. Hagedorn legt in seinem Buch Wert auf "das Übliche" und schließt "die Ausnahme" oder "Willkür und Fantasie" aus. Hamann tritt gegen einen solch eklektischen Regularismus und für das Unübliche und das Unedle ein. Dabei benutzt er mehrere Bilder, wie das von der "Seele (Scham) des Mädchens" (ZH II 156), die alle mit provozierender Geschlechtlichkeit die Zimperlichkeit des Kritikers persifieren sollen. Der hat sich ob seiner eigenen Regeln entmannt und damit auch die Natur unfruchtbar gemacht. Nach Hamann ist es die "Seele" oder das Unübliche, die sowohl der Natur als auch der Kunst ihr wahres Kennzeichen der Schönheit gibt.
  Aus demselben Grunde betont er die "Narbe" in der Natur (N II 348). Wenn Hamann aber die "Narbe" (des homerischen Odysseus) gegen die Kritiker und deren Nachahmungstheorie verteidigt, kommt es ihm dabei eigentlich auf die biblische Botschaft der "Herunterlassung Gottes" an. Gott läßt sich herunter und zeigt sich in der Natur, aber nicht in der kommensurablen Art. Die Natur ist zwar die Rede Gottes, aber nur jenem verständlich, der gleichzeitig das Wort des Kreuzes vernimmt. Die Hinwendung zur Ausnahme oder zum Individuum bei Hamann hat also mit dem Originalgenie nichts zu tun, das von den Stürmern und Drängern hoch gepriesen wird. Die Gebärmetaphorik oder biblische Aus- drücke wie "nachhuren" zeigen vielmehr, daß es ihm darum geht, ob die Natur als Knechtgestalt Gottes geachtet, oder als Idol deifiziert und damit unfruchtbar gemacht wird.43)
  Die Natur als Offenbarung Gottes sub contraria specie wird von den "schönen Geistern" (den Kritikern) ganz gestrichen und unhörbar gemacht. Das ist eine gründliche Verdammnis dieser Zeit der Ästhetik. Hamann stellt ihr gegenüber die apokalyptisch-eschatologischen Bilder des Gerichts und der Hoffnung.44) Denn auch die Befreiung der Natur von der Mörderei der Kritiker wird erst durch die Kondeszendenz Gottes möglich. Mit dem typologischen Bild von Lamech (1.Mose 4,24) und der Blut- und Weinmetaphorik (Joh. 6,55) zeigt er, wer der wahre Kunst-Richter sein soll (N II 346). Es ist nämlich der "Keltertreter" vom "gesudelten Gewand" (Jes. 63,2). Das Gewand wird zwar von den Kritikern mit Abscheu zurückgewiesen. Aber ihre arrogante Haltung ist an sich schon eine Art Urteil über sie selbst.
  Das Wort des endzeitlichen Richters: "Mein Blut ist der rechte Trank" ist noch bei "den kleinen Saamen von Idio- und Patrioten übrig" geblieben (N II 336). In diesen kleinen Samen (dem Leser) sieht Hamann den Grund der Hoffnung. Und "Schriftsteller und Leser sind zwo Hälften, deren Bedürfnisse [...] ein gemein- schaftliches Ziel ihrer Vereinigung haben" (N II 347). Hamann verwendet hier das Bild einer Kugel (nach Platons "Symposion") für die innigste Vereinigung in dem Leser-Autor-Verhältnis.45) Gott selbst ist zwar bei Hamann der wahre "Autor" und der "beste Ausleger" der Natur. Aber erst durch diese, Platons Bild von der Vereinigung der Geschlechter nachempfundene, Zusammengehörigkeit von Autor und Leser in dieser Welt wird das in Gang gesetzt, was der Auftrag des Lesers ist: nämlich die ursprüngliche Autorschaft und Kondeszendenz Gottes in der Natur zu finden und in den Dialog mit ihm einzutreten. Der Autor dient dem Leser, genauso wie der Prediger dem Laien. Und in diesem Zusammenhang wird dem Kritiker kein Platz mehr gelassen. Er wird mit seinem Hochmut des "Bischofs" (N II 337) samt jener "pharisäischen" Gesetzesdienerei der Ästhetik von dem wahren Richter in die "perspektivische" Ferne vertrieben (N II 339). Und dieser wird aus den Steinen der literarischen Welt die lebendigen Leser machen. Hierin finden wir eine bis in die säkularisierteste Sphäre hinausdringende Botschaft der Reformatoren. Hamann betont nämlich auf das stärkste jenes Prinzip des "allgemeinen Priestertums aller Gläubigen", auch in der Ästhetik und Literatur. Das ist ein konsequenter Biblizismus, der keinen Unterschied zwischen der Heiligkeit und dem Profanen macht. Damit fordert er, daß die Aufgabe der Hermeneutik nun in den Vordergrund gerückt und jedem zugänglich gemacht werden soll.
  Aus dieser Skizzierung ist deutlich zu ersehen, daß Hamanns Argumentation gegen die Kritiker keineswegs eine totale Absage an die damaligen aufklärerischen Kritiken ist, sondern bloß gegen jenen "Hochmut" der Kritiker gerichtet ist. Hamann schließt vielmehr an die vorangehenden Kritiken der Aufklärung selbst an. Später nennt er diese Haltung zur Kritik "Metakritik", die notwendig die Kritik der Aufklärung voraus- und fortsetzt. Sie ist aber auch Metakritik, die weder in der jeweiligen Wirklichkeit noch in der bloß kritischen Haltung zu dieser Wirklichkeit bleiben kann, sonern sich zu beiden immer kritisch verhält. Die Kritik soll, nach Hamann, immer gleichzeitig von der Selbstkritik des Kritisierenden begleitet werden. Dabei wird somit nicht ein apriorischer Maßstab, womit man alles überprüft, sondern "die Billigkeit" erfordert, "den Verfasser blos mit sich selbst und keinem anderen, als seinem eigenen, von ihm gegebenen Maasstabe zu vergleichen" (N III 293). Dies ist eben die sokratische Hebammenkunst, womit Hamann den jeweiligen Gegenpart zum Dialog herausfordert. Dabei handelt es sich bei ihm nicht um das bloß begriffliche Entweder-Oder, sondern um das "Lesen", d.h. um die philologisch-hermeneutische Haltung zur Tradition, damit ein neuer Horizont des Wirklichkeitsverhältnisses eröffnet wird. Denn Hamanns Kritik bezieht sich vorzüglich auf die Wirklichkeit der Sprache, die zwar der Autor selbst ist, die aber manchmal ihm selbst nicht verfügbar ist. Dabei besteht die Aufgabe der Kritik im "Hören", nämlich im richtigen Lesen der vorhandenen Sprache, und dann im "Reden", in der richtigen Wiedergabe des Gelesenen, wobei die hermeneutische Haltung mit der Rethorik verbunden wird. Eben in diesem Sinne bilden bei Hamann "Hören" und "Reden", diese beiden Momente des Dialogs, den Horizont der Mitteilung.
 
 
 
Anmerkung
 
1) Der Begriff "indirekte Mitteilung" ist zwar zuerst von S. Kierkegaard (1813-55), also erst im 19. Jahrhundert, thematisch behandelt worden. Die Sache selbst war schon in den Schriften von Johann Georg Hamann vorhanden, zu dem jener in einer sehr engen Beziehung stand. Wenn man die Schriften der beiden vergleicht, bemerkt man sofort, daß vieles ihnen gemeinsam gehört: sie bedienen sich der Pseudonyme und der "indirekten Mitteilung" durch Ironie und Humor; Ihre Schriften sind daher voll von leidenschaftlicher "Mimik". Überdies macht das Paradox, d.h. die Torheit des Christusgeschehens, den Kern ihrer Gedanken aus. Sicherlich hat Kierkegaard sehr viel von Hamann gelernt und sein Interesse an Sokrates vor allem durch Hamann-Lektüre erhalten.
2) Vgl. Pütz, Peter: Die deutsche Aufklärung. Darmstadt 1978, S.57-73.
3) Hamann, Johann Georg: Sämtliche Schriften. Hrsg.v. J. Nadler. Wien 1949-1957 (Mit folgender Band- und Seitenzahl); N IV 211- 217.
4) N IV 131-191. Vgl. Jorgensen, Sven-Aage: Johann Georg Hamann. (Sammlung Metzler M 143) Stuttgart 1976, S.26.
5) Vgl. Hubatsch, Walther: Geschichte der evangelischen Kirche Ostpreußens. Bd.1. Göttingen 1968, S.196.; Erdmann, Benno: Martin Knutzen und seine Zeit. Hildesheim 1973, S.27f., 37f., 114.
6) N II 9.
7) N IV 17.
8) Vgl. Koepp, Wilhelm: Der Magier unter Masken. Versuch eines neuen Hamannbildes. Göttingen 1965, S.45.
9) Vgl. Blanke, Fritz: Der junge Hamann. In: Hamann-Studien. Zürich 1956, S.100f.
10) Spener, Philipp Jacob: Pia desideria. Frankfurt 1676. (Hrsg.v. K. Aland. Berlin 19644).
11) Günther, Hans R. G.: Psychologie des deutschen Pietismus. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Bd.4. Halle 1926, S.167.; Gajek, Bernhard: Sprache beim jungen Hamann. Bern 1967, S.32.; Unger, Rudolf: Hamann und die Aufklärung. Studien zur Vorgeschichte des romantischen Geistes im 18. Jahrhundert. Halle 19252, S.56f.
12) Günther: a.a.O., S.153f., 165., 168.
13) Vgl. N II 236.
14) N II 34.
15) Vgl. N II 39.
16) Vgl. N II 42.
17) Vgl. Beyer-Fröhlich, Marianne: Die Entwicklung der deutschen Selbst- zeugnisse. Darmstadt 1970, S.208ff.
18) Gründer, Karfried: Figur und Geschichte. Johann Georg Hamanns Biblische Betrachtungen als Ansatz einer Geschichtphilosophie. 1958, S.28-82.; Blanke: a.a.O., S.30-33, 84f.; Gajek: a.a.O., S.56-61.
19) N I 91.
20) Vgl. Sievers, H.: Johann Georg Hamanns Bekehrung. Ein Versuch, sie zu verstehen. Zürich 1969, S.49ff.
21) Vgl. Hamann, Johann Georg: Briefwechsel, hrsg.v. W. Ziesemer und A. Henkel. Wiesbaden und Frankfurt 1955ff. (ZH mit folgender Band- und Seitenzahl); ZH II 148f.
22) Vgl. N II 73.
23) Vgl. Kawanago, Yoshikatsu: Die Prophetie als "Empfindung". −Johann Georg Hamanns Sokratesbild−In: The Proceedings of the Department of Foreign Languages and Literatures, College of Arts and Sciences, University of Tokyo, Tokyo 1990, Vol.XXXVII No.1, S.111-133.
24) N II 59f.,61.
25) Vgl. ZH II 134.
26) Vgl. ZH II 61; ZH II 13O.
27) Hirsch, Emanuel: Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd.4. S.35.
28) Hirsch: a.a.O., S.32.
29) Vgl. ZH I 395.; N II 215.
30) Vgl. N II 113.
31) Hegel, G. W. F.: Sämtliche Werke, hrsg. v. Glockner Bd.20, S.209.
32) Auerbach, Erich: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abentländischen Literatur. 1946, S.107.
33) Jorgensen, Sven-Aage: Hamanns Stil (Wege d. Forschung Bd.511 Hrsg.v. R. Wild. 1978) Darmstadt 1978, S.378.
34) Auerbach: a.a.O., S.26.
35) Vgl. N II 214.
36) Vgl. ZH II 80.
37) Vgl. ZH I 378.; 431.
38) Vgl. ZH I 339f.
39) Typos. Die typologische Deutung des Alten Testaments im Neuen. Darmstadt 1981.
40) Goethe, J. W.: Werke. Weimar 1887ff., IV Bd.6. S.359f.
41) Jorgensen: a.a.O., S.380.
42) Vgl. N II 332, 334.
43) Vgl, N II 342.
44) Vgl. N II 344.
45) Platon: Symposion 189c-193e.
 
 
 
 
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In: The Proceeding of the Department of Foreign Languages and Literatures, College of Arts and Sciences, University of Tokyo, Vol.XXXVIII No.1, Tokyo 1991, S.129-153.